"Im Glanz der Majestät des Reiches" - Tiepolo und die Würzburger Residenz
Die Reichsidee der Schönborn und die politische Ikonologie des Barock
Hardcover. Leinen, 22,5 x 27,5 cm, Textband mit 406 Seiten, Tafelband mit 269 Abbildungen in sw und 83 meist großformatigen Farbtafeln, davon 3 Klapptafeln; im Schmuckschuber
ISBN 978-3-87437-404-0
1. Auflage, Januar 2003
vergriffen
Die Würzburger Residenz ist - anders als lange angenommen - weit mehr als nur ein Zeugnis absolutistischer Repräsentationsfreude und barocker Bauleidenschaft. Diese interdisziplinäre Studie, die kunstgeschichtliche Betrachtungen mit historischen, theologischen und rechtsgeschichtlichen Fragestellungen verbindet, unterzieht das Schloß der Würzburger Fürstbischöfe einer völlig neuen Deutung.
Die Initiatoren der Würzburger Residenz, die Grafen von Schönborn, waren im 18. Jahrhundert die wichtigsten Repräsentanten der Reichskirche. Um angesichts der allmählichen Auflösung des Reichsverbandes einer möglichen Säkularisierung entgegenzuwirken, entwickelten sie eine komplexe kirchen- und verfassungsrechtliche Ideologie. Anhand zahlreicher Quellen zeigt der Autor erstmals, was diese "Schönbornsche Reichsidee", die auch noch unter Carl Philipp von Greiffenclau und Adam Friedrich von Seinsheim Staatsräson am Würzburger Hof blieb, im einzelnen bedeutet.
Eine besondere Rolle bei der Vermittlung ihrer politischen Ideen maßen die Schönborn und ihre Nachfolger einer Kunst bei, die traditionelle Bildmotive mit dem Gedankengut der katholischen Aufklärung verband. Beispielhaft hierfür sind die Fresken, die Giovanni Battista Tiepolo von 1751 bis 1753 im Kaisersaal und im Treppenhaus der Residenz schuf. Auf der allegorischen Sinnebene stellte der Venezianer das Reich in einen kosmisch-metaphysischen Zusammenhang. Zugleich verfolgte er in historischen Exkursen die geistigen Ursprünge der Reichsverfassung bis in Antike und Stauferzeit zurück. In der Rhetorik seiner Bilder erscheinen die Universalität des Reiches, die ständische Freiheit, das Lehnswesen und das mittelalterliche Reichskirchensystem sowie die Rolle des Kaisers als gemeinsames politisches Oberhaupt und als Beschützer der geistlichen Staaten überzeitlich und gottgewollt.
Wie eingehende ikonographische und bauliche Untersuchungen ergeben, fügen sich die Tiepolofresken in ihrer Aussage wie in ihrer Formensprache nahtlos in die Architektur Balthasar Neumanns ein. Nicht weniger nimmt die spätere Ausstattung auf die Tiepolofresken Rücksicht. Entgegen der herkömmlichen Forschungsmeinung blieb der Residenzbau - trotz mehrerer Plan- und Stilwechsel - bis zu seiner Vollendung einer ganzheitlichen Konzeption verpflichtet. Nicht zuletzt sollte sich in dieser Kontinuität der Fortbestand geistlicher Herrschaft manifestieren.
Durch die formale und inhaltliche Synthese imperialer Bild- und Architekturformeln auf Grundlage ihrer Ideenlehre konstituierten die Schönborn einen besonderen "Reichsstil". Dieses oft mißverstandene Phänomen wird nun einer neuen Bewertung unterzogen: Projekte wie die Würzburger und die Bamberger Residenz, Schloß Pommersfelden, die Reichskanzlei in Wien oder die Gärten zu Seehof und Veitshöchheim sollten vor allem die Gültigkeit der Reichsverfassung und die Bedeutung der Germania Sacra als Trägerin des Reichsgedankens zum Ausdruck bringen. Einerseits knüpfen sie an Bauten anderer Mitglieder der Reichspartei wie die Paläste des Prinzen Eugen oder des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden an. Andererseits grenzen sie sich von dem habsburgischen Kaiserstil und dem französischen, dem schwedischen, dem preußischen und dem sächsisch-polnischen Königsstil ab.
Mit Tiepolos Fresken ist die Würzburger Residenz also auch ein wesentlicher Beitrag zum politischen Diskurs über die Stellung der geistlichen Staaten und des Heiligen Römischen Reiches in Europa.